Den Notfall trainieren
Medizin an Bord
Medizinische Grundkenntnisse können im Ernstfall den Unterschied machen. Notfallsanitäter Ingo Krüger erklärt, wie Skipper sich vorbereiten können
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Herr Krüger, was sind typische medizinische Notfälle an Bord?
Grundsätzlich kann alles, was an Land passiert, auch an Bord passieren. Wer mit einem Boot unterwegs ist, ist tendenziell eher in der zweiten Lebenshälfte angekommen und unterliegt den altersentsprechenden Risiken. Dazu gehören zum Beispiel Schlaganfälle und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dazu kommen natürlich Notfälle, die dem Wassersport geschuldet sind. Seekrankheit zum Beispiel kann über lange Zeit zu lebensbedrohlicher Dehydrierung führen. Relativ häufig kommt es auch zu Verletzungen an Händen und Armen, weil wir an Bord meistens damit arbeiten. Auf Segelbooten besteht zudem das Risiko eines Schädel-Hirn-Traumas durch eine Patenthalse oder von Stürzen.
Was sind die Herausforderungen bei solchen Notfällen an Bord?
Für Laien besteht die allererste Herausforderung oft darin, einen Notfall als solchen zu erkennen. Notfälle sind ja nicht immer offensichtlich. In den Seminaren, die ich gebe, steht das XABCDE-Diagnoseschema im Vordergrund, nach dem weltweit medizinische Notfälle untersucht werden.
Wofür steht XABCDE?
X steht für Exsanguination, also das Ziel, Blutungen zu stillen. A bedeutet Airway: die Atemwege überprüfen. B meint Breathing – Lungenfunktion. C steht für Circulation – Kreislauf. D bedeutet Disability. Damit ist die Frage gemeint, ob die Person ansprechbar oder komatös ist. E kann für Exposure oder Environment stehen, also zum Beispiel die Prüfung auf Unterkühlung.
Dieses Diagnoseschema ist sehr hilfreich, darum ist es auch so verbreitet, aber es ist nur der erste Schritt. Danach geht es um erste Hilfe. Und auf Booten erste Hilfe zu leisten, ist anspruchsvoll und herausfordernd.
Was meinen sie damit?
Stellen Sie sich vor, jemand ist auf dem Vorschiff gestürzt und Sie müssen die Person in den Salon bewegen. Wie stellen Sie das an? Wenn Sie damit erfolgreich sind, haben Sie es mit einem engen Raum zu tun, der sich bewegt und vielleicht vom Lärm der Maschine erfüllt ist.
Dazu kommt die Frage des Fahrtgebietes. In der Kieler Förde dauert es vielleicht nur wenige Minuten, bis die professionelle Hilfe verfügbar ist, die wir alle aus unserem Alltag kennen und erwarten. Auf dem offenen Meer sieht das aber ganz anders aus. Dann muss man selbst mit der Situation umgehen können und darauf sollten alle Skipper vorbereitet sein.
Wie kann man sich auf solche Situationen vorbereiten?
Durch Training. Viele Crews üben regelmäßig MOB- oder Hafenmanöver. Was in medizinischen Notfällen zu tun ist, wird hingegen selten durchgegangen. Meistens bleibt es bei einem Hinweis auf die Bordapotheke. Nichts gegen die Bordapotheke, aber entscheidend ist, was man damit macht.
Der DSV beispielsweise bietet Seminare für das World-Sailing-Zertifikat „Medizin an Bord“ an. Das sind zwei sehr intensive Tage, an denen in der Regel alle große praktische Schritte machen.
Was für praktische Fähigkeiten kann man sich als Laie aneignen?
Entscheidend ist das erwähnte XABCDE-Diagnoseschema. Wenn man sich medizinische Unterstützung per Telefon organisiert, wird oft danach gefragt. Per Telefon können Crews mit diesem Schema den Medizinern eine erste Einschätzung übermitteln.
Danach geht es ins Handeln und auch das wird trainiert anhand von realistischen Szenarien, die wir gemeinsam durchspielen.
Wie sorgt man dafür, diese Fähigkeiten zu behalten?
Nur durch Wiederholung, genau wie bei den erwähnten MOB- und Hafenmanövern. Das Zertifikat muss man ohnehin nach fünf Jahren erneuern, um es zu behalten. Es ist jedem Skipper zu empfehlen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, solch ein Seminar zu besuchen und die Inhalte zu wiederholen.
Ingo Krüger ist Notfallsanitäter, Segler und macht seit 20 Jahren Notfalltrainings, unter anderem beim DSV.